TEIL I: Dar es Salaam (Ismael Giraldo)
Schon gleich am ersten Abend, keine zwei Stunden nach der Landung liefen wir über den Markt. Ich glaube, niemand von uns Kleinstadtschülern hat sich so einen afrikanischen Markt auch nur ansatzweise vorstellen können. Statt auf einem Platz erstreckt sich der Markt über viele ungeteerte Straßen voller kleiner Läden und Marktständen, Farben, Chaos, Menschen: Frauen in weiten, buntbedruckten Gewändern, Männer mit flachen, bestickten Hüten, Händler, die mit rasselnden Steinen Käufer auf sich aufmerksam machen wollen, und junge Burschen, die riesige Lasten auf dem Kopf tragen. Wir fallen auf, von allen Seiten werden wir begrüßt. Autos, Fahrräder, und Fahrzeuge, die wohl irgendwo dazwischen einzuordnen sind, bahnen sich hupend einen Weg durch das Gewimmel. Unsere Augen können gar nicht alles erfassen, was um uns herum geschieht. Überall um uns schwirrt die Stadt wie ein Bienenschwarm und während wir durch das summende Treiben zurück zu unserem Hotel laufen, ergreift uns die wunderbare Erkenntnis, dass wir endlich den fremden Kontinent erreicht haben.
Der Weg hierher – das Jahr der Vorbereitungen, etliche Tropenimpfungen, zwei Tage über den Wolken und eine Nacht auf dem Boden in irgendeiner ruhigen Ecke eines Flughafens, die Stempel des selbstgewichtigen Grenzschutzbeamten in prächtiger Uniform – lag hinter uns und kam uns so unwirklich vor, als wäre das alles viel länger her als nur ein paar Stunden.
Am nächsten Morgen erwachten wir schon zum ersten Gebet. Soll heißen mitten in der Nacht wurden wir vom Muezzin aus dem Schlaf gerissen, der von der blauen Moschee gegenüber durch einen riesigen Lautsprecher arabische Gebete sang. Während wir frühstückten, ging plötzlich die Sonne auf und als wir zur Schule liefen, herrschte auf den Straßen bereits reges Treiben. An der Jangwani-Girls-School wurden wir unglaublich herzlich empfangen. Ein gutes Dutzend Schülerinnen in orange-weißen Jangwani Uniformen und einige Jungen von der Azania Schule nebenan hatten am Tor auf uns gewartet, um uns zu begrüßen und uns durch die Schule zu führen.
Die Jangwani besteht aus einem einstöckigen, hundert Jahre alten Altbau, in dem die meisten Klassenzimmer untergebracht sind. Als dieser zu klein wurde, fing man an, rings um den indischen Altbau herum neue kleine Gebäude zu bauen. Aber dennoch waren alle Klassenzimmer so überfüllt, dass die Stühle nicht einmal ansatzweise für alle Schülerinnen ausreichten. Die Lehrer gaben sich wirklich Mühe, allerdings bestand der Inhalt der Unterrichtsstunden zu großen Teilen aus dem Auswendiglernen einiger weniger Sätze. Das liegt zumindest teilweise auch daran, dass bei weitem nicht jede der Schülerinnen über ein Schulbuch verfügte. Auch andere Elemente, wie der allmorgendliche Appell auf dem Schulplatz und traurigerweise auch die Verwendung des Rohrstocks, waren uns fremd. Trotzdem darf man sich unsere Partnerschule nicht wie eine preußische Militärakademie vorstellen. Im Gegenteil, überall wo wir hinkamen wurden wir herzlich empfangen. Die Tansanier waren freundlich und sehr offen, fast jede Frage, die wir stellten, wurde bereitwillig und ausführlich beantwortet. Unsere Partnerschüler zeigten und erklärten uns alles – ihre Schulen, ihre Lebensweise, ihre Stadt – und stellten Fragen zu unserer Heimat, die mir nie eingefallen wären. Wir aßen, lachten, sangen und diskutierten miteinander. Eine der ersten Dinge, die mir auffielen, war, wie viel Humor die Leute hier haben.
Nach wenigen Tagen schon begannen wir mehr und zu verstehen, wie Daressalam funktioniert. Wir erkannten, dass das scheinbar undurchdringliche Chaos der Stadt doch irgendeiner Ordnung folgte, oder zumindest einer Art ungeschriebenem Regelwerk.
Als wir zu Besuch bei den Familien unserer Austauschpartner waren, waren wir tief beeindruckt, was die tansanischen Frauen mit einfachen Mitteln alles zustande bringen können, während unsere Gastgeber staunten, dass europäische Männer zum Kochen fähig sind.
Wir hatten das Glück, dass während unseres Aufenthalts eine politische Debatte zwischen unseren beiden Gastschulen stattfand. Politik war ein Thema, über das einige unserer Partnerschüler sehr viel wussten. Innerhalb weniger Tage lernten wir sehr viel über die Geschichte und politische Entwicklung des Landes. Der Großteil des Volkes beschränkt sich darauf, den Nationalhelden Julius Nyerere, der dem Land die Unabhängigkeit brachte, zu verehren und jedes Mal aufs Neue seine alte Partei zu wählen. Dadurch hat die Regierung keinen Grund sich zu ändern, die Partei bleibt korrupt, das Volk bleibt friedlich, aber arbeitslos und das Land bleibt arm, mit vielen Ressourcen, aber ohne Industrie. Ich habe mir sagen lassen, die jetzige Präsidentin wäre geschickt in der Überzeugung von Investoren, besonders von Chinesischen. Der Geschichtslehrer der Jangwani erzählte uns: „Afrika entwickelt sich langsam, aber stetig. Jemand, der rennt, ist schnell erschöpft, aber jemand, der langsam läuft, läuft ewig und kommt viel weiter". Ich hätte ihm gerne geglaubt. Aber als wir am Ende der Woche die Großstadt verließen und unser alter, klappriger Bus über ungeteerte Straßen voller Schlaglöcher rumpelte, zweifelte ich doch sehr an dieser Aussage. Mir wurde klar, dass in vielen der Häuser, an denen wir in dieser Nacht vorbeifuhren, Leute lebten, die zwar wahnsinnig tüchtig waren und vielleicht sogar eine Ausbildung oder einen Universitätsabschluss erreicht hatten, aber trotzdem keine Möglichkeit hatten, damit ihr Brot zu verdienen. Je weiter wir in die Nacht fuhren, desto kleiner wurden die Häuser um uns. Irgendwann sahen nur wir nur noch vereinzelt winzige Lehmhütten in der Dunkelheit stehen. Daressalam lag hinter uns.
TEIL ZWEI: Mikumi Nationalpark und Nkweseko (Merle Ulrich)
Nach einer wunderschönen, aber auch anstrengenden Woche in der Stadt ging es ins Landesinnere. Ein Bus hat uns in fast 8 Stunden und etwa 300 Kilometern zum Mikumi- Nationalpark gebracht. Noch am Abend konnten wir uns einen ersten Eindruck von der wundervollen Natur Afrikas machen. Auf drei Jeeps aufgeteilt ging es von unserer Unterkunft ein Stück auf der dortigen Hauptstraße zum Parkeingang. Schnell wurde klar, dass dieser Teil der Reise einen völligen Kontrast zu den Erfahrungen der ersten Woche bilden würde. Hochhäuser, hupende Motorräder, hektische Leute, volle Straßen, laute Schüler und zuletzt auch die Luft einer Großstadt wichen diesem Naturschutzgebiet. Schon nach kurzer Zeit konnte man erste Tiere sehen. Tiere, die man aus Dokumentationen, von Bildern oder vielleicht sogar noch aus dem Zoo kennt, stehen auf einmal in Blickweite. Zwei ältere Löwenbrüder, abendaktive Nilpferde, putzige „Pumbas“, bunte Vögel und natürlich auch Elefanten haben sich sehen lassen. Selbstverständlich ist das Verlassen der Jeeps während der Safari nicht erlaubt. Allerdings gab es nach der Löwenbegegnung eine Autopanne. Dies ist in den meisten Fällen mehr als ärgerlich, hat uns aber einen der schönsten Momente der Reise geschenkt. Während der Reparatur ergab sich so die Möglichkeit, den Sonnenuntergang hinter Bergen, mit Blick auf Zebras, Antilopen und weiteren Tieren beobachten zu können.
Auch am nächsten Tag ging es noch einmal auf Safari, bevor wir zum dritten großen Programmpunkt unserer Fahrt kamen: Nkweseko - ein kleines Dorf am Fuß des Kilimanjaros. Bereits beim Ankommen wurden wir von der Landschaft und unglaublicher Gastfreundschaft verzaubert. Die Unterkunft liegt sehr naturnah und so konnten wir mehr als nur einmal in den wundervollen tropischen Wald eintauchen. Ein Kindergartenbesuch, eine Besichtigung des Gartens der Kaffeeplantage unserer Kooperation mit anschließender Kaffeeherstellung und weitere Ausflüge standen auf dem Programm. Es hat viel geregnet und war mit teilweise unter 15 Grad auch recht frisch. So schade der Regen auch klingt, für viele hat sich die Natur auf diese Art als noch faszinierender herausgestellt. An unserem letzten Abend an diesem Ort hatten wir die tolle Chance, sowohl den Gipfel, als auch den abendlichen Sternenhimmel sehen zu können. Auch das zählt für mich zu den besten Erlebnissen der gesamten Reise. Nach dieser Woche in traumhafter Natur und Stille ging es als letztes Reiseziel wieder nach Daressalam, dieses Mal jedoch an den Strand. Ein bilderbuchartiger Strand hat uns erlaubt, unsere Eindrücke und Gedanken zur Reise in Ruhe zu sortieren und in zahlreichen Gesprächen Revue passieren zu lassen.
Zu guter Letzt ging es denselben Weg wie hin auch wieder zurück nach Bamberg.
Vermutlich braucht der ein oder andere unserer Gruppe noch eine Weile, um diese einmaligen Erfahrungen verarbeiten zu können. Jedoch waren sich am Schluss alle einig, dass diese zwei Wochen wohl zu den eindrucksvollsten zwei Wochen gehören, die man während seiner Jugendzeit so erleben kann.